Insbesondere die in der Gesetzesbegründung angeführte Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten ist von Bedeutung für die Anwendung des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG. Für eine Betreibungsaufforderung im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG genügt aber nicht jede Art von Verletzung einer Mitwirkungspflicht, sondern nur eine solche, die ein erhebliches Unterlassen einer prozessualen Mitwirkungshandlung darstellt. Das Gericht muss sich – seine Rechtsansicht zugrunde gelegt – außerstande sehen, entscheidungserhebliche Tatsachen festzustellen, um den für eine Sachentscheidung notwendigen Sachverhalt zu klären. Diese Aussage hat das Bayer. Landessozialgericht in einem Rechtsstreit durch Urteil vom 12.7.2011 getroffen, in dem die Erledigung des Verfahrens durch fiktive Klagerücknahme streitig war. Das Sozialgericht hatte die Klägerin im Hinblick auf ihren Wunsch, ihr einen von ihr neu benannten Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe beizuordnen, aufgefordert, eine Vollmacht von diesem vorzulegen und die Vollmacht gegenüber dem zunächst benannten Rechtsanwalt zu widerrufen. Die Klägerin hatte hierauf trotz Erinnerung nicht reagiert. Das erstinstanzliche Gericht hatte auf den Inhalt des § 102 Abs. 2 SGG hingewiesen; dieses Schreiben enthielt den Zusatz „auf richterliche Anordnung“ und war von der Mitarbeiterin der Geschäftsstelle unterschrieben worden. Auf die Berufung gegen das erstinstanzliche Feststellungsurteil, wonach die Klage als zurückgenommen galt, hat das Landessozialgericht das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und festgestellt, dass das Streitverfahren vor dem erstinstanzlichen Gericht fortzuführen ist. Die Frage, ob in der fehlenden Reaktion der Klägerin ein erhebliches Unterlassen einer prozessualen Mitwirkungspflicht liegt, hat das Berufungsgericht wegen fehlender Beeinträchtigung der Möglichkeit des Sozialgerichts, die entscheidungserheblichen Tatsachen festzustellen und letztlich wegen Fehler in der Betreibungsaufforderung dahinstehen lassen. Die Rücknahmefiktion setzt den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus (§ 102 Abs. 2 Satz 1 SGG). Anordnungen und Entscheidungen, die eine Frist in Lauf setzen, sind nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG zuzustellen; hierzu gehören auch richterliche Verfügungen mit Fristsetzungen, wenn die Nichtbefolgung zu nicht unerheblichen Nachteilen führen kann. Der gerichtliche Hinweis auf die sich ergebenden Rechtsfolgen aus § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG ist Voraussetzung für den Eintritt der Rücknahmefiktion. Unterbleibt er, ist er nicht ordnungsgemäß ergangen oder zugestellt worden, so kann die erhobene Klage nicht als zurückgenommen gelten. Im Hinblick auf die einschneidenden Folgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung muss zudem eine solche – so das Bayer. Landessozialgericht in seiner Entscheidung vom 12.7.2011 – durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters erkennen lassen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stamme. Das Schreiben des Gerichts habe lediglich über den Zusatz „auf richterliche Anordnung“ verfügt und sei durch eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle unterzeichnet worden. Dies genüge aber nicht, um die Frist des Betreibens des Verfahrens in Lauf zu setzen; erst die die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters mache deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routineverfügung ausgeht, hierüber müsse aber bei einer Betreibensaufforderung auch für den Betroffenen Gewissheit bestehen.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.2363-9768.2012.07.05 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 2363-9768 |
Ausgabe / Jahr: | 7 / 2012 |
Veröffentlicht: | 2012-07-01 |
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